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Unsere Augen und unser Hirn sind nicht dafür gemacht, Dinge zu sehen, die gar nicht wirklich vor einem passieren. Dies hat die Folge, dass virtuelles bestimmte Reize auslösen kann, welche viel intensiver sein können, als was das reale Leben üblicherweise bietet. Genau wie wir Zuckerbomben oft dem gesünderen Obst bevorzugen, bevorzugen wir intuitiv den Fernseher gegenüber dem Fenster, das Computerspiel gegenüber der Werkstatt und die Pornografie gegenüber der mühseligen Suche nach menschlicher Nähe. Vieles altbewährtes, das in Form der Intuition in unseren Genen steckt, ist nicht für die Umgebung ausgelegt, die wir uns geschaffen haben. Wir sind nicht darauf ausgelegt, Kiloweise Zucker und Fett zu konsumieren, also sind viele negative Effekte vorprogrammiert. Das gleiche ist offensichtlich der Fall, wenn man Menschen, die stark Instinkt-gesteuert sind, dem Weltmarkt der Suchtstoffe ausliefert. Zwar bin ich sehr für Liberalismus – schlaue, bewusst getroffene Entscheidungen müssen uns weiter bringen können. Womit ich ein riesiges Problem habe, ist wie quasi die gesamte Weltbevölkerung grundsätzlich wie Beutevieh genutzt wird von einigen wenigen. Und ich will hier unbedingt nicht missverstanden werden: Diese wenigen sind keine Elite oder Juden, sondern Marktteilnehmer; Leute, die ihre Schüssel aus dem Fenster halten, wenn es Pudding regnet. Der freie Markt bietet nicht nur die Freiheit, das kaufen zu können, was man braucht, sondern auch, das verkaufen zu können, das keiner braucht. Dies für sich ist schon ein riesiges Problem mit vielen Konsequenzen, aber im Fokus dieses Artikels hat es zur Folge, dass die Vertriebsmethoden, die am meisten Individuen ihrer Unabhängigkeit berauben, die meiste Anwendung finden werden. Kundenbindung ist das A und O einer Gelddruckmaschine und wer angebunden wird, soll sich möglichst wenig lösen können. Die perfekten Beispiele geben Sozialmedien, Rechnerspiele und Pornografie. Längst werden diese fiktionsgeladenen Rauschmittel nicht nur von einer besonders geschwächten Randgruppe konsumiert – die Mitte der Gesellschaft ist regelrecht zu Junkies verkommen! Als jemand, der sich schon viel mit Süchten beschäftigt hat (ursprünglich Zigaretten und Alkohol), erkenne ich alarmierende Parallelen in geistigen Prozessen bei den 3 Beispielen. Das Kernprinzip ist der Teufelskreis aus innerer Entfremdung vom äußeren, einer nachlaufenden (defensiven) Bedürfnisbefriedigung gepaart mit eher negativer Grundmotivation (Ängste), einer kurzfristigen Befriedigung (es werden eilig vergangene Schulden beglichen statt in die Zukunft investiert) und die durch Erschöpfung verminderte Bereitwilligkeit, in längerfristige menschliche Beziehungen zu investieren. Die 3 Schritte Leere, Überflutung und Erschöpfung zeichen jede dieser Suchterfahrungen.
Wenn man schonmal so verrückt wie ich ist und zumindest hypothetisch hinnimmt, dass fast alle Menschen von Suchtparasiten befallen sind, stellen sich gleich zwei Fragen: 1. Wo liegt dabei das Problem? 2. Was könnte man dagegen tun?
Beide Fragen lassen sich auf mindestens zwei Ebenen stellen und beantworten: Auf der individuellen und auf der gesellschaftlichen. Das Problem auf der Individualebene ist das, was einen Parasiten auszeichnet: Er verbraucht wertvolle Ressourcen (Lebensenergie/Zeit) und betreibt zugleich Selbstschutz, was der Manipulation und Beneblung des Wirtes entspricht. Wer von Süchten besessen ist, büßt große Teile seiner Entscheidungsfreiheit und seiner Zurechnungsfähigkeit ein. Ich persönlich sehe den ersten Schritt der Befreiung darin, die Präsenz des Parasiten wahrzunehmen. Nach dem Motto "Kenn deinen Feind" soll man verstehen, was eine Sucht ist und was sie will. Mir ist bewusst, dass eine Sucht ein Konzept ist und nicht wirklich ein eigener Akteur ist, aber die Vorstellung eines Gegenakteurs erleichtert das Verständnis und die Ausreizung des eigenen Handlungsspielraumes. Hat man den Feind verstanden und geortet, geht es daran, ihn zu schwächen, also seine Versorgungswege zu kappen. Bewusstsein darüber zu schaffen, dass Süchte starke Gefühle auslösen können, kann dem logischen Teil im Gehirn dabei unterstützen, eine Vielzahl an Sucht-fördernden Gefühlen auszuhalten oder gar zu unterdrücken. Ein in die Enge getriebener Akteur neigt zu Verzweiflungstaten – auch dies trifft auf Süchtige im Entzug zu. Ernsthafte bzw gar umgesetzte Pläne, die bei objektiver Betrachtung kontraproduktiv sind? Übergriffe auf andere? Verletzung von Regeln? Hinnahme hoher Risiken? All dies sind gute Indikatoren dafür, dass eine Sucht sich verteidigen möchte. Auch versuchen Süchtige regelmäßig, sich herauszureden und die verängstigte Suchtzecke dadurch zu beruhigen, sich diejenigen, die sie angreifen könnten, weit vom Hals zu halten. Dies hat die Nebenwirkung, dass der Wirt zunehmend vereinsamt. Zwar kann er noch Sozialkontakte haben oder gar die Sucht mit gleichgesinnten teilen – die Kontakte, die wirklich das wahre Wohlergehen wollen, werden gemieden. Und dies führt zwangsläufig zur Entfremdung, denn man braucht Kontakte, welchen man nichts vormachen will. Selbst kollektive Sucht hat den Nachteil, dass man bei nachlassender Suchtwaltung automatisch aus der Gruppe ausgeschlossen wird, da man nüchtern den Suchtparasiten der anderen eine Gefahr darstellt. Die Sucht geht nur selten ganz weg. Sie unter Kontrolle zu bekommen, hängt viel davon ab, ein soziales Auffangnetz zu haben. Als soziale Wesen stehen Austausch und Nähe bei uns instinktiv weit vorne. Werden soziale Bedürfnisse zuverlässig gestillt, so fällt es am leichtesten, sich den Manipulationsversuchen der Sucht zu widersetzen. Hierbei gilt eine Ausgewogenheit bei Sanktionierung zu beachten: Sind bei Rückfällen keinerlei Konsequenzen zu befürchten, so nimmt man der Sucht viel Widerstand ab und erleichtert ihren Einfluss. Droht man jedoch bei Rückfall zu viel an, was den sozialen Halt schwächt, so spielt man ebenfalls der Sucht in die Hände, welche dann eine scheinbare Alternativlosigkeit vorgaukeln kann. Fällt man bei Rückfälligkeit tief, so hat einen die Sucht noch mehr in der Hand. Der goldene Mittelweg liegt bei einer Mischung aus direkter Einwirkung mit etwas Nachdruck (Verantwortungsbewusstsein schaffen und für Offenheit werben) und der Versicherung, dass das soziale Netz die Turbulenzen der Suchtbekämpfung Stand halten wird. Wer eine Sucht bekämpfen will, sollte sich unbedingt einen anderen Menschen suchen, der bereit ist, einem dabei zu helfen, die Zecke zu ziehen, aber einen auch nicht gleich fallen lässt. Und dies kann auch ein ebenfalls süchtiger sein. (Selbsthilfe)
Zur gesellschaftlichen Ebene zunächst nur einige Stichworte: Demokratie, Effizienz, Verteilungsgerechtigkeit, fehlender Zusammenhalt. Ansätze: Bildung, Aufklärung, Verbote (Anbieterseitig!), soziale Angebote.