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2021/12/28/9:16 | Text: Der rote Faden meines Lebens

Ich habe gestern kurz überlegt, wie ich meine Projekte (Beispiel) zusammenfassen würde, und kam zum Wort "Deobsoletierung", also Erzeugnissen der Industrie das zu geben, was ihre Erzeuger ihnen wirtschaftlich nicht zugestehen wollen, sie aber bei individueller und ökologischer Betrachtung verdient haben.

Als ich eben aufwachte, erweiterte ich die Frage von gestern und erinnerte mich an eine Frage, die jemand bei Bewerbungsgesprächen stets den Bewerbern stellt: Was ist der rote Faden in meinem Leben, also wie könnte ich mein Leben zusammenfassen? Und ich habe schnell eine erhellende Antwort gefunden: Die technischen Projekte sind nur die Spitze des Eisberges.

Gesellschaftliche Ablehnung

Schon immer hat mich sehr gestört, wenn Leute Möglichkeiten nicht genutzt haben, Ideen schnell verworfen haben unter dem Argument, dass es zu unkonventionell oder kompliziert sei. Ich habe schon als Kind kaputte oder veraltete Elektrogeräte gesammelt und musste mehrmals schmerzlich feststellen, dass meine Mutter, wohl als gutgemeinte Erziehungsmaßnahme, Dinge von mir entsorgt hat, die sie für Müll hielt. Wegen meiner immer gleichen Reaktion tat sie das bald nurnoch hinter meinem Rücken, was mich noch mehr in meinem Streben bestärkte, die ungeliebten, von der Gesellschaft verstoßenen Schätzchen zu retten.

Und genau dieser rote Faden erklärt mir jetzt so einiges. Auch bei Menschen haben mich die Außenseiter, die ungeliebten, die hoffnungslosen, am meisten interessiert — wenn sie intelligent waren wie ich. Denn ohne es jemals bewusst zu begreifen, habe ich mich mit dem Müll gut identifizieren können. Auch ich fühlte mich nie gesellschaftlich integriert, habe schon als Kleinkind stets "die anderen" rein analytisch betrachtet wie Tiere im Zoo. Und gleichzeitig habe ich immer wieder von Menschengruppen zu verstehen bekommen, dass ich irgendwie komisch, irgendwie behindert, irgendwie nicht ernst zu nehmen sei. Daran hatte ich rückblickend betrachtet natürlich viel Schuld zu tragen. Es ist nicht wie Henne und Ei, sondern ich habe mich damit abgefunden, angefangen zu haben mit Komischsein. Die Ausgrenzungen geschahen zum Glück kaum konfrontativ. Ich wurde nie ernsthaft gemobbt. Es waren eher nett gemeinte Relativierungen meiner Selbst, welche mir sehr schmerzten. Ich fühlte mich oft trotz meiner objektiv vorhandenen Fähigkeiten nicht entsprechend ernst genommen oder respektiert. Und dort schließt sich der Kreis.

Tiere

Nicht nur erklärt dies, warum ich technisch wertvolle aber abgehängte Geräte, aber sogar schon Plastiktüten vor dem Mülleimer rette, sondern auch meinen Umgang mit Menschen und Tieren. Ich bin seit einigen Jahren Veganer. Ich habe schon früh nachgefragt und nie begriffen, warum man bestimmte Personen guten Gewissens einsperren, ausbeuten und sogar töten darf, obwohl die genauso Gefühle haben wie die Menschen, zu denen mir im Kindergarten Mitgefühl nahegelegt wurde. Da die offensichtliche Antwort, die ich schon früh hätte geben können, Veganismus war, musste ich das Thema möglichst verdrängen, denn das, so spürte ich, hätte mein Umfeld nicht akzeptiert. Und außerdem war das einzige vegane Essen, das ich damals kannte, das ungeliebte Obst und das verhasste Gemüse. Außerdem hatten ja die Erwachsenen dieses Problem nicht, also lag nahe, dass ich später verstehen würde, warum Fleischessen in Ordnung ist. Spoiler: Ich verstehe es bis heute nicht.

Über die Jahre hinweg musste ich immer wieder mit der Wahrheit kämpfen und verlor dabei Schritt für Schritt. Schon als Grundschüler wurde mir beim Anblick einer toten Gans auf dem Tisch kotzübel. So war das bei jedem Fleisch, das nach mehr als eine monotone Masse aussah. Leberwurst, obwohl dessen Geschmack bis heute zu meinen Favoriten zählt, aß ich plötzlich nicht mehr, wegen des Namens. Dann sah ich mir ein abgebissenes Fischstäbchen an und erahnte am Muster, welchen Teil des Fisches ich auf der Gabel und welchen ich soeben heruntergeschluckt habe. Ein grauenhaftes Gefühl. Vegetarier (und dann bald wegen inkonsequenten Richtlinien Veganer) zu werden, war die einfach richtigste Entscheidung in meinem Leben. Ich zweifelte nie länger als wenige Sekunden daran und mir geht es sehr gut damit.

Menschen und Beziehungen

Doch auch der Tierart Mensch räume ich große Aufmerksamkeit ein, jedoch fast nur Individuen. Mit 14 Jahren fand ich meinen ersten richtigen Freund, der bis heute ziemlich weit oben steht. Er kam neu in die Klasse und hatte es sichtlich schwer, sich zu integrieren. Er war damals 15 und ich fühlte mich von Anfang an sehr respektiert und auch sonst lag viel Augenhöhe vor — nur nicht wörtlich. Der musste sein. xD

Leider war er bald wieder weg und so war ich wieder viel alleine und verbrachte die Pausen immer in der Schulbücherei am PC. Ich programmierte in JavaScript. Mir sahen öfters jüngere Mitschüler zu, die so zu guten Bekannten wurden, von denen ich mich nicht Disrespektiert fühlte. Rückblickend ist natürlich klar, warum: Vor älteren hat man automatisch höheren Respekt. Zwei Siebtklässler wurden dann zu meinen Freunden, einen umarmte ich sogar regelmäßig, was ich bis dahin für unmöglich gehalten hätte. Der andere umarmte mich aber auch einmal, demonstrativ vor Klassenkameraden, was ich in Ordnung fand und hiermit rückwirkend absegne. Ein Klassenkamerad der ersten Stunde wurde mir in dieser Zeit auch immer sympathischer. Ein Händeschütteln auf Usedom ist mir bis heute in Erinnerung geblieben. Der rote Faden liegt hier, dass ich versucht habe, Freunde gegen den "Assivirus" zu stärken, von dem dann einer doch befallen wurde. Der Kampf gegen toxische Maskulinität und falsch verstandene Coolheit war ein etwas hoffnungsloser.

Über meinen winzigen, aber nun existenten Bekanntenkreis lernte ich dann einen Menschen kennen, mit dem ich mich von Anfang an perfekt identifizieren konnte. Wir waren über Jahre hinweg unsere einzigen Freunde und versuchten, möglichst viel gemeinsam zu sein. Das ging natürlich nicht ewig gut und so wurde das Projekt verworfen. Auch hier versuchte ich krampfhaft, mehr aus etwas herauszuholen, als jeder andere erwartet hätte — das etwas war aber ein Mensch. Er ist heute immernoch ein guter Freund, aber ich übe deutlich geringeren Veränderungsdruck auf ihn aus. Dies war nicht das einzige Mal, dass mein roter Faden mich in Probleme hineinführte, aber das schlimmste Mal. Mir tut vieles bis heute Leid. In diesem Fall war das vergeblich zu rettende übrigens bald weniger der Freund, sondern die Freundschaft als solche und damit indirekt ich selbst. Um ihn mache ich mir kaum noch Sorgen.

Es passierte danach wieder einige Male, dass ich Menschen fand, in denen ich großes Potential gesehen habe. Diese Freundschaftsversuche hielten selten lange. Bei einigen habe ich aber noch nicht aufgegeben, doch noch mal von ihnen zu hören! Und einige sind bis heute noch nicht untergetaucht, was mich sehr demütig und dankbar stimmt.

Zukunft

Wenn man solch einen stringenten Trend erkannt hat, ist nicht nur erhellend, die bisherige Geschichte zu verstehen, sondern auch, einen Blick in die Zukunft zu werfen. Werde ich diesen Drang, stets auf Seiten der überholten und gesellschaftlich aufgegebenen stehen zu wollen, stets unpopuläre Haltungen zu haben und zu äußern, irgendwie gewinnbringend einbringen können? Soweit ist mir das wenig gelungen. Bei meinem Ausbildungsberuf hat mich das um-die-Ecke-Denken einige Male weitergebracht. Ein Projekt, das schlecht lief, habe ich schon in meiner ersten Praktikumswoche gedanklich an mich gerissen und komplett umgekrempelt. Das Ergebnis konnte sich dann doch sehen lassen. Na gut, noch ist es vielleicht zu früh, meine Strategie als fehlgeschlagen zu markieren. Manche Früchte erntet man etwas später. Aber wo ich mir sicher bin: Mein fast schon aktivistischer Ansatz, das unmögliche möglich zu machen und damit der Gesellschaft einen erweckenden Schrecken zuzufügen, wird mich im berüchtigten Sterbebett stolzer machen, als meinen Idealismus verdrängt und erwürgt zu haben. Schwere Vorwürfe wegen begangenen Fehlern kommen dann so wie so.

Empfehlungen

Auch die (Video-) Kunst durchzieht mein roter Faden. Mir fallen gerade einige andere Publizisten ein, die hierzu passen. Mit vielen habe ich mich schon mehr oder weniger ausgetauscht.